Jugendliche aus der arabischen Stadt Judeida-Maker (Israel) und dem thüringischen Jena (Deutschland) 14. Oktober – 03. November 2011
Nach harter organisatorischer Arbeit war es der Norddeutschen Jugend im internationalen Gemeinschaftsdienst aus Rostock wieder gelungen gemeinsam mit ihrem langjährigen Vereinsmitglied Michael Schurig aus Jena einen deutsch israelischen Jugendaustausch zu organisieren. 2009 konnten im Rahmen eines gemeinschaftlich organisierten Geschichtsprojektes erstmalig 3 Jenaer, 4 Berliner und 3 Röbelner einen Zeitzeugen des Holocaust in der Nähe
der israelischen Hafenstadt Haifa interviewen und einen Dokumentarfilm über diese Begegnung erstellen. Wie in diesem Projekt übernahm der NiG e.V. die Schirmherrschaft und die finanzielle Leitung. Der Verein organisierte in kurzer Zeit einen geeigneten Kontakt in Israel und über Anträge die entsprechenden finanziellen Fördermittel.
Im neuen Projekt „Jena“ konnten sich nun deutsche und israelische Jugendliche in einer Hin- und einer Rückbegegnung in der Zeit vom 14. bis zum 24. Oktober in Israel und sofort im Anschluss vom 24. Oktober bis zum 3. November in Jena gegenseitig besuchen. Ziel dieses Jugendaustausches war es, den Teilnehmern
einen Einblick in die Welten und die Realitäten der Jugendlichen beider Länder, abseits der von den öffentlichen Medien dargestellten Bilder der jeweiligen Staaten, zu bieten. Während des Austausches bot sich den Jugendlichen die Möglichkeit, bei einer Gastfamilie zu leben, das Land kennenzulernen sowie mit den Jugendlichen des Projektes und weiteren Jugendlichen ins konkrete Gespräch zu kommen. Damit wurde ein intensiver Erfahrungsaustausch und ein intensives Kennenlernen der jeweils anderen Kulturen und Sprachen sowie der aktuellen politischen Situation möglich.
Ein weiterer zentraler Aspekt des Jugendaustausches war die Bewusstmachung eigener und fremder Identität,
die Möglichkeit für interkulturelles Lernen, die Erweiterung sozialer und interkultureller Kompetenz und die Förderung der Bereitschaft, verschiedenen Menschen und ihren Kulturen im In- und Ausland offen und tolerant zu begegnen. Durch vorher von den beteiligten Schulen erarbeitete Programme, war die Führung der Gruppen im jeweiligen Aufenthaltsland organisiert und gewährleistet. Besonders die gegenseitige Beherbergung der Jugendlichen in Familien bot ein großes Maß an Möglichkeiten, die mit dem Projekt gesteckten Ziele zu verwirklichen.
In eigenen Diskussionen zwischen den Jugendlichen als auch in gelenkten Diskussionen am Jugendzentrum in Judeida-Maker und in Jena haben sich die Teilnehmer konkret mit dem Thema Menschenrechte auseinandergesetzt. Zusätzlich wurden weitere Diskussionen einem breiteren Jugendbereich durch organisierte Veranstaltungen am Bairuni-Gymnasium in Judeida-Maker und am Berufsschulzentrum Jena-Göschwitz zugänglich gemacht. Besonders die Tatsache, dass es sich bei den israelischen Jugendlichen um
arabische Jugendliche gehandelt hat, die wiederum ihr Leben als nationale Minderheit in einem jüdischen Staat geschildert haben, hat allen deutschen Jugendlichen die Problematik der Menschenrechte in Bezug auf Völkerrechte nahe gebracht. So haben die Jugendlichen über ihr Verständnis für den Begriff Menschenrechte als auch über die Wahrnehmung im Alltag der Jugendlichen und in der Gesellschaft ihrer jeweiligen Länder diskutiert. Als Diskussionsansatz wurden die eigenen Erfahrungen und das eigene Verständnis, aber auch die Diskussion dieses Themas in der entsprechenden Erlebniswelt sowie das Sammeln von Medieninformationen und Gespräche mit Politikern und Zeitzeugen genutzt.
Zur Geschichte Israels, der Entwicklung des Friedensprozesses in den letzten Jahren und der Anerkennung Palästinas sowie dem damit verbundenen Zusammenleben zwischen Israelis und Arabern, konnten wir vor allem in Israel Zeitzeugen finden,
die über diese Prozesse berichteten. Zwar wurde das Projekt durch Pädagogen geführt, aber entsprechend der Entwicklungen im Projekt konnte dessen Durchführung insbesondere die Diskussionen von den Jugendlichen selbst getragen werden. Die Fragestellungen und die Umsetzung des Projektes orientierten sich somit an den Interessen und Möglichkeiten der teilnehmenden Jugendlichen. Angewandt wurde hier aus pädagogischer Sicht die interessenorientierte Methode zur Vermittlung von Allgemein- und Politikwissen in einem breiten Spektrum.
Neben der erwähnten gegenseitigen Beherbergung in den Familien, die einen sehr direkten und persönlichen Erfahrungsaustausch ermöglichte, kam insbesondere die Methode „Gruppenarbeit“ zur Anwendung. Diese wurde zusätzlich mit Hilfe von erlebnispädagogischen Methoden beschleunigt. Wir haben die Bereitschaft der Jugendlichen, sich auf Unbekanntes einzulassen und sich Herausforderungen zu stellen, gestärkt, ihre individuellen Fähigkeiten gefördert und dabei die nonverbale und verbale Kommunikation
zur Verbindung der Gruppen genutzt. Dies erfolgte bei gemeinsamen Veranstaltungen (Wellcomeparty, Stadtbesichtigungen, Gruppenspielen, gemeinsam organisierten Freizeiten, Museumsbesuchen) oder bei der gemeinsamen gemeinnützigen Arbeit am Gymnasium in Israel. Besonders hier kam ein Methodenkanon in Abhängigkeit einer Ausgangsanalyse zur Anwendung. Insbesondere die anerkennende Gemeinschaftlichkeit bot sich als erlebnispädagogische Schlüsselorientierung an.
Erlebnisbericht Tobias Leoper
Etwa Mitte September kam meine Deutschlehrerin auf mich und einen Klassenkameraden zu und sagte, dass noch
Plätze für einen Jugendaustausch frei sind. Ich hatte zu dieser Zeit eh Urlaub und war sofort interessiert, diese Chance wahrzunehmen. Das schwierigste Problem war nun, meine Freundin davon zu überzeugen, dass ich erstens den Urlaub nicht mit ihr verbringen werde und dass die Reise nach Israel geht.
„Ich lasse dich nicht nach Israel, das ist gefährlich, da ist doch Krieg!!“
Zur Infoveranstaltung fragte Herr Schurig, jeden einzelnen, wie viele Menschen sind dieses Jahr durch terroristische Anschläge gestorben?
100? 1000? 3000?
Es sind glaube ich 6 gewesen, direkt im Grenzgebiet zu Ägypten. Es waren israelische Bustouristen.
Dies hat schon mal eines der Vorurteile ausgelöscht.
Am 14. 10. 2011 ging es dann los. Bis zu dem Tag der
Abreise war ich total entspannt und cool. Aber desto näher die Abreise kam desto nervöser wurde ich. Wie ist die Familie zu der ich komme? Vertrage ich das Essen? Können die Englisch? Sind die alle vermummt und beten fünfmal am Tag? Wow, aber jetzt gibt es kein zurück!!
Wir kamen 3 Uhr in der Nacht an. Zügig wurden wir auf die Familien aufgeteilt. Die erste Frage, are you tired or you want to speak??
Wir haben uns noch bis in den Morgen hinein über Gott und die Welt unterhalten, Schischa geraucht und es wurden uns viele verschiedene Snacks angeboten.
Die nächsten Tage haben wir viele interessante Ausflüge unternommen und viel über das Land, die Leute und deren Mentalität erfahren. Wir haben die komplette Familie kennengelernt, von den kleinen Kindern bis zur Oma. Alle waren sehr nett und zuvorkommend. Nach unseren Tagesausflügen waren wir in die Familie integriert und haben alle Sachen des Alltags erlebt.
Ich habe diese Erfahrung sehr genossen, denn es war interessant wie viele Dinge unveränderlich gleich in jeder Familie sind.
Als Fazit lässt sich zusammenfassend Folgendes für die deutschen Jugendlichen sagen:
Die Jugendlichen sind mit kribbeligem Bauch nach Israel gereist, da viele das Image eines Staates mit permanenten Anschlägen von Terroristen hatten. Vor Ort haben die Jugendliche gelernt, dass es in den breiten Gesellschaftsschichten Israels Bestrebungen für einen Frieden in der Region gibt und bereits viel für diesen Frieden getan wurde bzw. man heute mit einem guten Gewissen und frei von Angst in dieses Land reisen kann. Dennoch haben die Jugendliche durch den Besuch auch gelernt, dass es in Israel noch Defizite im Demokratieverständnis gibt. Gerade der Kontakt zur arabischen Minderheit hat den Jugendlichen gezeigt, dass in Israel noch viel getan werden muss, bis die freiheitlichen und demokratischen Grundrechte für alle Bürger dieses Landes umgesetzt sind. So wurde mit der Gründung des jüdischen Staates 1948 und mit den Kriegen 1967 und 1973 teilweise Land der arabischen Minderheit enteignet bzw. die Menschen mit arabischem Hintergrund zwangsumgesiedelt. Diese Kapitel der Geschichte des Staates Israel gilt es in der Zukunft noch friedlich aufzuarbeiten. Die deutschen Jugendlichen haben weiterhin gelernt, dass sich die arabische Minderheit hauptsächlich aus Christen und Muslimen zusammensetzt und deren gemeinsame Sprache Arabisch ist. An der Schule lernen die Jugendlichen als 2. Sprache die Amtssprache Hebräisch und dazu natürlich noch mindestens eine Fremdsprache. Die jun
gen Araber haben nur teilweise die gleichen Rechte wie ihre jüdischen Mitbürger. So ist es z.B. für arabische Jugendliche schwerer einen Studienplatz an einer israelischen Universität zu bekommen. Auch erhalten die arabischen Gemeinden geringere finanzielle Zuschüsse vom Staat, als vergleichbare jüdische Gemeinden. Sie haben gelernt, dass es sowohl auf arabischer als auch aus jüdischer Seite Menschen gibt, die den Friedensprozess mit gewaltfreien Mitteln vorantreiben. Gerade auf diesem Gebiet gab es für die deutschen Jugendlichen viele Diskussionsmöglichkeiten. Mit dem Besuch im palästinensischen Jericho wurde den deutschen Jugendlichen klar, dass es an der Zeit ist, die UN-Resolution 242 bzw. das Gaza-Jericho-Abkommen voll umzusetzen und damit einen endgültigen Frieden in der Region zu schaffen.
Vom Leben in den Gastfamilien waren die Jugendlichen überrascht, dass bei den meisten arabischen Familien ein vergleichbarer Lebensstandard zu dem in Deutschland besteht. Sowohl verbringen die arabischen Jugendlichen ebenfalls einen Großteil ihrer Freizeit vor dem Computer, beschäftigen sich mit Sport oder gehen Freizeitaktivitäten wie Tanz und Musik nach. Auch die Ausstattungen der Häuser entsprachen der hier in Deutschland.
Tief beeindruckt waren die
Jugendlichen von der Gastfreundlichkeit der beherbergenden Familien und den guten familiären Beziehungen. Stolz waren die Deutschen auf ihre eigene Genauigkeit und Pünktlichkeit, und begründeten damit den Vorteil des Industriestandortes Deutschland. Mit der Begegnung wurden viele Freundschaften unter den Jugendlichen geschlossen.
Auf Grund der positiven Erfahrungen aus diesem Projekt und auf Grund des Interesses auf beiden Seiten soll in Zukunft dieser Jugendaustausch fortgeführt und zwischen den beteiligen Organisationen etabliert werden. Auf Grund eines zusätzlich festgestellten Interesses der Lehrer an einem Lehreraustausch, sind wir in der Zukunft bestrebt auch dieses als Projekt in Angriff zu nehmen.
Michael Schurig